Die Regierung Aurangzebs bringt eine letzte Höhe und den Verfall des
Mogulreiches. Die Schwäche der Zenralgewalt, bedingt durch die Größe
des Reiches, dessen Entfernungen zu bewältigen es noch keine
technischen Hilfsmittel gab, verlockte die angrenzenden Mächte immer
wieder, die eigenen Besitzungen auf Kosten des Moghulreiches zu erweitern.
Wie
seine Vorgänger mußte Aurangzeb daher unaufhörlich an allen
Fronten kämpfen. Der Kriegsschauplatz im Süden war ihm seit langem
vertraut. Hier lagen Bijapur, Golconda und die Marathen bereit, jedes Schwächezeichen
ausnutzen. Im Osten waren es die Grenzvölker, die nach Assam und
Bengalen einfielen. Der Krieg in Assam, der eine große Flotte auf dem
Brahmaputra verlangte, war schwierig zu führen. Assam hat stets nur
kurzfristig, und dann auch nur bedingt, zum Mogulreich gehört. An der
Westgrenze waren es die Perser und die afghanichen Stämme, im Norden
die Sikhs, die sich militärisch zu organisieren begannen. Akbar, der während
der ersten zwangig Jahre seiner Herrschaft gleichfalls an allen Fronten
hatte kämpfen müssen, verdankte seinen Erfolg seiner Politik des
Ausgleichs zwischen Muslims und Hindus. Die Rajputen, die er zu Freunden
gewann, wurden die stärkste Stütze seiner Macht. Aurangzeb erbte
dies Vertrauensverhältnis, das sein Vater und sein Großvater
bewahrt hatten. Zwei der bedeutendsten Fürsten Rajputanas (Rajasthan),
Raja Jai Singh II von Jaipur und Raja Jaswant Singh von Jodhpur (Marwar),
waren seine besten Generäle. Auragzeb war jedoch zu einer echten
Zusammenarbeit nicht bereit. Je älter er wurde, desto mehr wurde er zum
fanatischen Muslim, desto stärker wurde es sein Ziel, Indien, koste es
was es wolle, zu einem mohammedanischen Reich zu machen. In den ersten
Jahren seiner Herrschaft, als er die Rückschläge der
Thronfolgerkriege überwinden mußte, wurde dies noch nicht
deutlich. Erst als Jai Singh und Jaswant Singh gestorben waren und er ihre
Posten nicht wieder mit Hindus besetzte, wurde klar, wohin er zielte. 1699
verbot er die öffentliche Auslegung der Hindureligion und weitgehend
die Ausübung der Kulte. Er ließ den Schiva Tempel in Varanasi
niederreißen und an seiner Stelle die Alamgiri Moschee bauen. Auch der
Krishna Tempel in Mathura bei Agra fiel dieser Zerstörung zum Opfer.
Den zweiten, weit schwerwiegenderen Schritt im Kampf gegen den Hinduismus
tat Aurangzeb zehn Jahre später, als er die Jajiya wieder einführte,
die Kopfsteuer, die alle Nichtmohammedaner entrichten mußten. Mit
dieser Maßnahme brachte er alle Hindus gegen sich auf. Der äußere
Zusammenbruch des Reiches war nur noch eine Frage der Zeit. An Warnern
fehlte es nicht. An prominentester Stelle steht Aurangzebs Sohn Bahadur
Shah, der sich mit seinem Vater überworfen hatte und in offener
Rebellion zu den Rajputen übergegangen war. Werkzeug des Zusammenbruchs
wurden die Marathen unter ihrem Führer Shivaji ( 1626- 80 ). Shivaji
war ein Landedelmann mit großer militärischer und
organisatorischer Begabung. In seinen jungen Jahren agierte er wie ein
Bandenführer von den Bergfesten Maharashtras aus, hier und dort
zuschlagend.
Aurangzeb hatte schon seinen Ärger mit diesen jungen Mann gehabt, als
er noch Stadthalter im Dekkan war. Die Zeit der Thronfolgekriege nutzte
Shivaji, seinen Besitz zu konsolidieren, feste Verteidigungslinien anzulegen
und von den angrenzenden Provinzen des Mogulreiches Tribut zu verlangen, den
er auch erhielt, weil er die Macht hatte, ihn einzutreiben. Mit solchen
Tributen-jeweils ein Viertel des gesamten Steueraufkommens des
entsprechenden Gebietes-finanzierten die Marathen hundert Jahre lang ihre
Feldzüge in Indien.
Die Einführung der Jajiya ließ Shivaji erkennen, daß er
den hinduistischen Widerstand gegen die Gewalt des Kaisers zu organisieren
habe. Zu dieser Einsicht verhalfen ihm Ramdas, ein militanter Mystiker, der
die Hindu-Lehre in ihrer alten Reinheit neu ausrichten wollte, und Tukaram,
ein großer Dichter Maharashtras, wie Ramdas ein gläubiger Anhänger
Ramas. Damit beginnen die Fronten sich abzuzeichnen, die das zukünftige
Schicksal Indiens bestimmen.
Auragzeb, der schon als junger Mann die Kämpfe an der Südgrenze
geleitet hatte, sah es auch als Kaiser als seine vornehmliche Aufgabe an,
Indien bis zur Südspitze zu erobern. Er schickte daher seine besten
Generäle an die Südfront und verbrachte die zweite Hälfte
seiner lange Regierungszeit weitgehend selber im Süden. Es gelang ihm
schließlich, *Bijapur und Golconda vernichtend zu schlagen und 1691
selbst von Tanjore Tribut zu kassieren. Was ihm aber nie gelang, und sein
Ziel, die Eroberung ganz Indiens, blockierte, war die Unterwerfung der
Maharathen. Shivaji hatte seine Truppen fest in der Hand, seine Soldaten kämpften
diszipliniert, ein Troß, der ihre Beweglichkeit gehemmt hätte,
wurde nicht geduldet.
Die Mogulengeneräle dagegen führten große Heere, deren
Organisation lasch und der Troß mindestens zahlengleich mit der
aktiven Truppe war. Auch hatten die Generäle kein Volk, das sich-wenn
auch nicht mehr unter genialer Führung- tapfer schlug. Bis zum Ende
seines Lebens jagte ohne je eine Entscheidung zu erzwingen. Der
Guerillataktik der mit ihrem zerklüfteten Land vertrauten Marathen war
er nicht gewachsen. In diesem Kleinkrieg zerrieb sich die Macht des Reiches.
Als Aurangzeb 1707 in seinem Feldlager starb, wußte er, daß er
ein geschlagener Mann war, und daß er die letzten 25 Jahre nutz-und
sinnlos vertan hatte. Er wußte auch, daß ein neuer
Thronfolgekrieg das Reich erschüttern und ihn seiner letzten Macht
berauben würde. Das Mausoleum Aurangzebs liegt in Aurangabad in
Bundesland Maharashtra.
*Bijapur und Golkunda waren mittelalterliche Königreicher. Jetzt sind
zwei Städte im Bundesstaat Andhra Pradesh im Süd-Indien.