Der Mensch kann ein Alter bis zu
hundert Jahren erreichen. Diese Zeit soll er sich für das Streben nach
den drei Gütern - nämlich nach Dharma, Artha und Käma -
sinnvoll einteilen. Stets sollen diese drei miteinander harmonish verbunden
sein. Man soll vermeiden, daß sie gegenseitig in ein Mißverhältnis
geraten.
In der Kindheit strebe man nach Wissen und nach solchen Fähigkeiten,
die später materiell nutzbar gemacht werden können. In der Jugend
widme man sich der Liebe. Im Alter bemühe man sich um Tugendhaftigkeit
als Voraussetzung zur Erlösung. Freilich kann ein solches Schema nur
dann Gültigkeit haben, wenn das Leben in gesicherten Bahnen abläuft.
Da aber nicht selten das Gegenteil der Fall ist, sei man gegebenenfalls
flexibel und richte sein Streben nach den jeweiligen Lebensumständen
ein. Immerhin sollte man aber darauf achten, in der Zeit des Wissenserwerbs
-manche sagen bis zum Alter von sechzehn Jahren - einen keuschen Wandel zu führen.
Was ist nun unter Dharma zu verstehen? Dieser Begriff hat einen doppelten
Inhalt. Einmal versteht man darunter die Durchführung religiöser
Handlungen, die ohne sichtbare Auswirkungen sind. Dazu zählen etwa die
in den Rituallehr büchern vorgeschriebenen Opfer. Zum anderen ist
Dharma die Unterlassung weltlicher Handlungen, die bestimmte sichtbare
Auswirkungen haben. Hierher gehört etwa die Unterlassung des Verzehrs
von Fleisch. Auch hierüber geben die Lehrbücher nähere
Auskunft, doch bilden die Texte der heiligen Offenbarung die ursprüngliche
Quelle. Außerdem nutze man Zusammenkünfte mit Dharma-Kundigen, um
sich zusätzliche Belehrung zu verschaffen.
Artha hingegen ist der Erwerb von Wissen, Ländereien, Gold, Vieh,
Getreide, sonstigen Waren und Gerätschaften, freundschaftlichen
Verbindungen usw. ; dazu zählt auch die Mehrung des Erworbenen. Man
erlernt ihn am besten, indem man auf den Wandel der Beamten schaut, aber
auch durch den Umgang mit gewerbe-und handelskundigen Kaufleuten.
Kama schließlich ist die Sinnesfreude an den jeweiligen Objektne, die
durch das Gehör, die Haut, das Sehen, Schmecken und Riechen vermittelt
wird; sie steht unter der Herrschaft des Geistes in Verbindung mit der
Seele. Insbesondere ist Kama aber das lustvolle Empfinden, das aus der Berührung
mit einem lustgebenden Objekt hervorgeht und sich als mit Wollust
einhergehendes Selbstgefühl realisiert. Zum Studium des Kama diene als
Hilfsmittel das Kamasutra, aber auch der Umgang mit kultivierten jungen
Leuten aus der Stadt erweist sich als nützlich.
Wenn man die Begriffe Dharma, Artha und Kama in dieser Reihenfolge aufzählt,
dann ist der jeweils vorherstehende Begriff höher als der folgende:
Dharma steht höher als Artha und dieser wiederum höher als Käma.
Aber diese Regel hat ihre Ausnahmen. Für einen König
beispielsweise ist Artha wegen seiner grundlegenden Bedeutung der wichtigste
Begriff. Auch für eine Hetäre steht nicht Tugend an erster Stelle,
sondern das Streben nach Reichtum.
Dharma ist im wesentlichen überweltlicher und daher nicht leicht faßbarer
Natur. Darum bedarf es zu seinem richtigen Verständnis geeigneter Lehrbücher.
Kennen muß man aber auch die Mittel, die zum Artha führen; daher
gibt es auch für diese ein Lehrbuch. Nun sagen manche Lehrer, daß
es auf dem Gebiet der Liebe anders sei. Da der Liebestrieb sich von selbst
betätige (was man schon in der Tierwelt sehen könne) und zudem
angeboren sei, erscheine ein diesbezügliches Lehrbuch überflüssig.