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DIE WESTLICHE GRUPPE |
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Der
Weg durch die Tempelanlage ist in der Tat ein Weg der Lust. Aus der Ferne
fließen die unzähligen, safranbraunen Sandsteinfiguren zu einer
gleichmäßigen flächenfüllenden Gliederung der
Tempelfassaden. Kommt man näher, so lösen sich einzelne Gruppen
aus der Masse.
Im Gegensatz zu den anderen Tempeln Indiens umschließen die Tempel
von Khajuraho keine Mauern. Dafür stehen meist vier kleinere Tempel an
den Ecken der Terrasse , aber leider sind viele dieser Ecktempel heute
verschwunden.
Um den besonderen Liebreiz des Figurenschmuckes zu verstehen, muß man
die Schuhe ablegen und versuchen, das Gedankengut der hinduistischen Kulte
des frühen Mittelalters mit dem Gefühl aufzunehmen.
Auf den Tempelfassaden findet man wohlgeformte Mädchengestalten mit fröhlich
lebendigem Gesichtsausdruck neben Jagdszenen mit kämpfenden Elefanten.
Reizvolle Mädchen in Tanzgruppen folgen königlichen Prozessionen.
Liebespaare in inniger Umarmung und weibliche Körper in vollendet schönen
Proportionen sind so aus hautfarbenem feinporigem Sandstein erschaffen , so
daß sie in natürlicher Größe brillant und lebhaft in
ihren geschmeidigen Bewegungen erscheinen. Nichts ist gekünstellt,
nichts wirkt gestellt. Der Stein scheint zu leben, zu atmen.
Die Fülle des Figurenschmuckes, in dem auch Tiere, Geräte und der
ganze Lebensraum einbezogen sind , ist dicht gedrängt und bedeckt jeden
Winkel, jede Fläche der stark aufgebrochenen und gegliederten Fassaden.
Es wirkt aber nicht überladen, sondern wie das fröhliche, enge und
ungezwungene Zusammentreffen vieler Freunde zu einem großen Fest der
Liebe, in dessen Mittelpunkt die Frau steht. Nicht verschleiert, nicht
schemenhaft symbolisiert , sondern vollbusige, offenherzige Frauen, innig
verschlungene Paare und Gruppen , welche mit sichtbarem Entzücken die
Liebe leben. Reichlicher Schmuck betont die Schönheiten beider
Geschlechter.
Kunstvolle
Frisuren , hinter der die Fantasie zeitgenössischer Figaros verblaßt
; hunderte aufwendige, modische Haartrachten , von denen keine der anderen
gleicht, schmücken die Figuren. Hochgesteckte Kunstwerke mit Perlen,
goldenen Diademen , edlen Steinen und viele Blumen in allen erdenklichen
Variationen; Zöpfe, Flechtwerk und lange Haarsträhnen umspielen Rücken
und Busen.
Ohrschmuck, Halsketten, Colliers, Ringe und Bänder, Perlen und
Korallenschnüre schmücken Hals und Schultern. Zierliche, mit
Edelsteinen besetzte Gürtel schmiegen sich um schlanke; nackte Taillen.
Perlenschnüre hängen herab und verbinden sich mit Reifen und
Spangen an Ober-und Unterschenkeln. Quasten, Zöpfe und Perlenschnüre
fließen über die Körper. Goldene Armreifen mit Ornamenten
und edle Steine liegen auf Ober-und Unterarm.
Steinerne Wandbilder und exotische Figuren erstrahlen unter der tropischen
Sonne. Himmlische Nymphen ergehen sich in paradiesischen Freuden. Reizende
Darstellungen liebevoller Vereinigungen, in oftmals akrobatischen
Stellungen, strahlen durch die unschuldige Natülichkeit ihrer entrückt
lächelnden Gesichter eine provozierende Erotik aus. Mit graziöser
Geschmeidigkeit schmiegen sich die Körper aneinander, als schwebten sie
schwerelos im Raum.
Zentrales Thema ist die Frau. Nicht als Wäscherin, als Köchin
oder Bäuerin und Hausfrau, sondern wie sie ihr Kind liebkost, mit
Tieren spielt und auf einer Querflöte musiziert. Mal hält sie ein
Ben, mal andere orientalische Instrumente, Nymphen entkleiden sich, schmücken
sich mit Girlanden, tuschen sich vor dem Spiegel ihre Wimpern und lassen
sich von nackten Zofen frisieren.
Eine Frau schreibt einen Brief, während andere im Kreis ihrer
Freundinnen plaudern und ihre ganze Schönheit zeigen. Graziös
schwingt sich eine Frau aufs Pferd , andere heben ein Kind aufs Pferd, küssen
und lieben sich.
Die Tempel sind nachfolgend im Uhrzeigersinn beschrieben.
Varah-Tempel
In diesem kleinen, offenen Tempel können Sie die riesige fein aus
einem Felsen gehauene Figur des Ebers sehen. Der Eber (Varah) war
Inkarnation von Wishnu. Als Eber befreit Wishnu mit seinen Hauern die Erde
aus dem Ozean ,wo ein Dämon sie gefangenhält. Das Standbild stellt
die Errettung der Erde von den Dämonen dar. Die 2,60 m hohe Darstellung
ist hingegen von meisterhaft gemeißelten winzigen Göttinnen -Götterdarstellungen
umgeben.
Lakshmana Tempel
Dieser große Tempel ist nach dem Chandella-König Lakshavarman (
ca. 925-950 n. Chr.) genannt und Erhaltergott Wishnu geweiht.
Den Eingang erreicht man über eine imposante Treppe, an deren Ende ein
kunstvoll gearbeiteter Bogen steht. Eine Säulenhalle führt zum
Sanktum, deren Zugang reich mit Löwen, Wishnu-Inkarnationen (wie Fisch,
Schildkröte, Keiler, Rama und Krishna ) und anderen Göttern
verziert ist. Ein Wandelgang erlaubt den Gläubigen, das Abbild der
Gottheit im inneren Heiligtum fünfmal zu umkreisen.
In den Skulpturen kommen nicht nur die vielgerühmten erotischen Posen,
sondern auch die Abenteuer Krishnas zum Ausdruck.
Auf der Plinthenwand befindet sich auch eine Reihe von Skulpturen mit
eindrucksvollen Szenen aus dem täglichen Leben aus religiösen
Mythen und feierlichen Prozessionen von Pferden, Elefanten und Soldaten. Die
zwei Meter dieses Frieses enthalten Abbildungen einer ausschweifenden Orgie.
Die Darstellungen zeigen das Leben im Feldlager, die Vorbereitungen zum
Kampf, den Kampf selber und die Vergnügen der Krieger in den
Kampfpausen.
Kandariya
Mahadev-Tempel
Der Weg führt weiter zu den auf einer gemeinsam Plattform errichteten
Heiligtümern Kandariya Mahadev und Devi Jagdamba( Göttin der
Welt).
Der Kandariya Mahadav Tempel gilt als der größte und schönste.
Tempel Khajurahos. Er stammt aus den Jahren 1025-1050 und zeigt
Chandella-Kunst in Reinkultur, wie sie schöner und besser nicht möglich
sein kann.
Der Hauptturm ragt mit seiner Spitze 31 m hoch und besteht in sich wiederum
aus 84 kleinen Türmen. Die Tempelhalle wird von acht Säulen
getragen; ein kunstvoll gearbeiteter Zugang zum Sanktum ist mit mehreren
Darstellungen von Fabelwesen und Nymphen verziert. Diese Halle ist auch
durch die seitlichen Veranden nur schwach erhellt. Man dringt bereits in die
Zone des Halbdunkels ein, die auf das heilige Mysterium hinweist.
Die Statuen umgeben den Tempel in drei Reihen und stellen Götter, Göttinnen,
Himmelstänzerinnen (Apasaras), löwenähnlichen Ungeheuer (
Sardula ) und Musiker dar.
Die Apasaras lächeln zum Teil , zum Teil aber scheinen sie zu
schmollen. Allen gemeinsam ist die Üppigkeit der Brüste und der
reiche Schmuck mit Juwelen, der all ihre Reize hervorheben und ebenso
betonen soll wie die hautengen , dünnen Gewänder. Tatsächlich
kommt hier eigentliche Nacktheit kaum vor, als ob auch Schmuck und Gewandung
zum Ritual gehörten.
Die
Liebespaare (Die Mithunas) sind wohl die freizügigsten Darstellungen
erotischer Liebesspiele. Sie gähnen, kratzen sich, tragen kokett ihre
Schönheitsmittel auf und spielen mit zahmen Affen, Wellensittiche oder
ihren gutgelaunten Liebhabern. Das Heiligtum des Shive Tempels ziert ein großer
Lingam.
Am nördlichen Ende dieser gemeinsam Plattform befindet sich der Tempel
von Devi Jagdamba. Auch hier sieht man hervorragende Steinmetzarbeiten in
Gestalt erotischer Darstellungen und Götterfiguren, darunter ein würdiger
Yama, Gott der Todes.
Chittrgupta Tempel
In der Nordostecke befindet sich der Chittragupta-Tempel. Dieser Tempel
wurde dem Sonnengott Surya geweiht. Man findet aber auch hier sehr schöne
Skulpturen, wie bäuerliche Prozessionen, Tanzmädchen, Kämpfe
zwischen wütenden Elefanten und Jagdszenen dargestellt. Im inneren
Heiligtum sieht man ein Abbild von Surya, der einen Kriegswagen mit sieben
Pferden lenkt. In der Zentralnische der Südfassade sieht man eine
Wishnu-Statue mit zehn Nebenköpfen ,die seine verschiedenen
Inkarnationen verkörpern.
Vishwanath und Nandi Tempel
Der Vishawanath Tempel wurde dem Shive geweiht. Der Haupttempel steht in
der Mitte der Plattform und zwei der ursprünglich vier Nebenschreine in
den Ecken sind noch erhalten.
Innerhalb des Schreins befindet sich ein kleiner Lingam. Es wird gesagt, daß
der Erbauer des Tempels, König Dhagangadeva (ca. 950-1002 n Chr.) hier
einen Smaragdphallus aufstellen hat lassen. Dieses Opfer eines
Edelsteinphallus deutet auf die Erfüllung des Wunsches hin.
Die Tempeldecke ist mit außergewöhnlichen Darstellungen von
Blumen mit vielblättrigen Blüten-und-hägenden Staubblättern
verziert.
Der Eingang zum Sanktum ist mit einem kunstvoll gearbeiteten Rahmen mit
Skulpturen versehen.
Außenreliefs dieses Tempels zeigen die üblichen Szenen, aber
besonders sehenswert sind die Frauenfiguren. Sie sind dargestellt als
Briefschreiberinnen, wie sie ein Baby streicheln oder musizieren.
Es ist Sitte vor dem Tempel einen kleinen Pavillon mit der Tierinkarnation
des jeweiligen Gottes zu errichten. Der Stier Nandi ist in Indien ein
beliebtes Kultobjekt. Nach der lkonographie ist er Gott Shiva als Reittier
zugeordnet und gleichzeitig ein Fruchtbarkeitssymbol. Dieser Tempel wird von
zwei großen Elefanten flankiert.
Matangeshwara Tempel
Dieser Tempel liegt unmittelbar außerhalb der Umzäunung. Er ist
eine der ältesten und bis heute heiligsten Gebetsstätten
Khajurahos. Der Tempel wird Shiva zu Ehren verehrt, der durch einen 2,5 m
hohen Lingam repräsentier wird. Von dem Dach dieses Tempels weht die
bunte Fahne Shivas, die öffentlich verkündet, daß der Tempel
den Gläubigen zugänglich ist.
Am Fuß der Treppe zu diesem Tempel befindet sich der Gott Ganesha,
der Sohn Shivas mit dem Elefantenkopf. Dieser wird zu Beginn aller
Hindurituale als der alle Hindernisse beseitigende, Glück und Reichtum
bringende verehrt.
Die Hauptfriese um diesen Tempel zeigen oft des Motiv von Shiva als Prinz
auf den vorspringenden Mauerabshnitten. Er wird mit einem Gefäß
dargestellt und durch die Schlange und seinen Dreizack kenntlich gemacht. Zu
seinen Füßen ruht sein Reittier, der Bulle Nandi. Zu beiden
Seiten umgeben ihn schöne Frauen, die zu Shivas Prozession erschienen
sind .
Dieser Tempel erwacht an Festtagen unter Glockendröhnen zum Leben,
wenn bunt gekleidete Dorfbewohner Blumen und Opfergaben vor dem inneren
Schrein ablegen. Sie bringen zu dieser Gelegenheit Wasser aus dem
Shivsagar-Becken, um es über dem Lingam Lingam gießen. Dieser
Kult wird seit den Zeiten der Chandells ununterbrochen ausgeübt.
Die Tempelliebhaber können auch
noch zwei interessante Tempel besichtigen. Eine unbefestigte Straße führt
zu diesen abseits liegenden Tempeln.
Der Duladewa Tempel besitzt schöne gearbeitete Konsolen mit üblichen
Frauendarstellungen.
Der Chaturbuja Tempel ist Wishnu geweiht und besitzt ein drei Meter hohes
Standbild dieses Gottes.