JAISALMER: DIE WÜSTENSTADT RAJASTHANS
Einführung
Die Fahrt durch die Wüste Thar ist immer ein besonderes Erlebnis.
Diese Wüste kann man nicht mit der Sahara oder anderen Wüsten
vergleichen. Diese Wüste lebt. Durch weite, steppenartige Landstriche
mit Dornbüschen und kleine Hirsefeldern ziehen Nomadenkarawanen. Man
sieht Kamelherden, manchmal auch Antilope. Kinder hüten Schafe und
Ziegen und pflücken dabei Beeren von spärlichen Büschen. Bei
den verstreuten, kleinen Dörfern schöpfen bunt gekleidete Frauen
Wasser aus tiefen Brunnen und nützen die Gelegenheit zu einfrigem
Geplauder. Geduldig warten Ziegen und Kamele in der Nähe der Wasserlöcher,
bis sie an die Reihe kommen. Das Geläute der kleinen Glocken, an die
Tiere meist am Hals tragen, belebt die Stille der Wüste. Stundenlang fährt
man durch das Hügelige Land, der Sand wechselt allmählich die
Farbe von Grau in Rosa, von Rosa in Gelb. Gegen den blauen Himmel und das
Braun der Wüste glaubt man eine Fata Morgana zu erblicken: auf einem Hügel
leuchtet eine befestigte Stadt auf - die in der Sonne wirkt wie Gold. Auch
beim Näherkommen kann man kaum unterschieden, wo der natürliche
Fels in die, von Menschenhand behauenen Steine übergeht. Es ist
Jaisalmer, ein architektonischer Traum in der einsamen, gelben Wüste
Rajasthans und wahrscheinlich die schönste Wüstenstadt der Welt.
Hier glaubt man sich wirklich in die Zeit von 1001 Nacht zurückverstzt.
Aus der Geschichte : Gründung der Stadt
Die Bhatti-Rajputen kamen nach langen Wanderungen in das Land um Jaisalmer
und regierten viele Jahrhunderte. Sie gehören zum alten Volk der
Yadavas, deren Könige einst über große Teile Nord-Indiens
herrschten und schon im Mahabharata verherrlicht wurden.
Krishna, den man später als Inkarnation Vishnus ansah, stieg als "Kuhschützer"
zu den Hirten zum Fluß Yamuna herab. Bald bedrohten Mächte der
Finsternis die ehrwürdige Residenz Mathura. Dämonenkönige
tyrannisierten das Volk und daher zog, Krishna mit dem Yadava-Stamm bis an
die Gestade des Westmeeres. Als König von Dwarka griff er in die Fehden
seiner verwandten Fürstengeschlechter, der Pandavas und Kauravas, ein.
Vor der Entscheidungsschlacht von Kurukshetra ermahnte Krishna den Pandava-
Prinzen Arjun an seine Kriegerpficht, die Waffen notfalls gegen jedermann,
auch gegen Blutsbrüder zu erheben, und verkündete gleichzeitig die
Unsterblichkeit der Seelen.
Krishnas Geschlecht, die Yadavas, wanderte weiter über die Erde und
verzweigte sich in alle Himmelrichtungen. Ein großer Stamm der Yadavas
zog nordwestwärts und ließ sich in Zabulistan an den Granzen
Persiens nieder. Fürst Gaj gründete im Süden des heutigen
Afghanistan die Stadt Gazani und sein Sohn Saliwahan in der Nähe von
Lahore die neu Residenz Saliwahanpur. Viele Städtnamen im Norden
Pakistans deuten noch heute auf Gründungen der Bhatti-Rajputen hin. Zum
Ahnherrn der Bhatti-Rajputen, des Wüstenzweiges der Yadavas, wurde
Saliwahns Enkel Bhatti. Auf der Flucht vor den Moslems drang er in die südliche
Wüste vor, eroberte die Stadt Lodurva und die Herrschaft über die
gewinnbringende Karawanenroute. Jaisal, ein Nachfahre von Bhatti, gab im
Jahre 1156 die strategisch ungünstige Stadt Lodurva auf und gründete
auf dem nahen Trikuta-Hügel die Festung Jaisalmer (Berg des Jaisal).
Als wichtigstes Bollwerk der alten Handelswege war Jaisalmer oft Angriffen
benachbarter Rajputen, vor allem der Rathore von Marwar und mehrerer
Moslemherrscher ausgesetzt. Die Moslemherrscher hielten die Festung zwei
Jahre lang besetzt, doch die Wüstenstadt lag zu weit abseits der
Hauptstadt des Sultans. So konnte der Maharawal Jaisalmer zurückerobern.
Seine Nachfolger hatten die Stadt sowohl gegen die Tuglaqs als auch gegen
die verfeindenten Rajputenstaaten zu verteidigen. In der Zwischenzeit
gewannen in Delhi die Moghulen an Macht.
Die Blütezeit
Maharawal Har Raj von Jaisalmer unterwarf sich später Akbar dem Großen
und gab seine Tochter Maharawal Bhim Jahangir zur Frau. Die Fürsten von
Jaisalmer gewannen dadurch Einfluß am Moghulhof. Der Dienst in der
Armee und in der Verwaltung des Moghulreiches sowie die Zoll- und
Steuereinnahmen brachten den Fürsten Jaisalmer großen Reichtum.
Die Zeit vom 16. Bis 18. Jahrhundert wurde durch den Frieden und einen
grossen wirtschaftlichen Aufstieg gekennzeichnet. Jaisalmer lag am
Schnittpunkt wichtiger Handelswege und war ein bedeutender
Warenumschlagplatz. Die Kaufleute aus Ägypten, Arabien, Irak und
Persien brachten ihre Waren und verkauften sie hier, um weiter nach Delhi
reisen zu können. Außerdem importierte das alte Jaisalmer Reis,
Zucker, Kokosnüsse, Trockenobst, Opium, Silber, Gold, Baumwolle und
Eisenrüstungen. Ausgeführt wurden Wolle, Safran aus Kaschmir,
Kamelzubehör, Knochen, Stein, Kamele, Zeigen, Schafe und Schmalzbutter.
Die Herrscher wurden auch reich durch die Abgaben und Zölle, die sie
den Karawanen auferlegten. Die Stadt war so wohlhabend, daß sie sogar
eine Zeitlang eine eigene Währung aus Gold, Silber und Kupfer besaß.
Darum ist es nicht überraschend, daß sich in dieser Stadt viele
Kaufleute niederließen. Sie lebten hier allerdings nur während
der Regenzeit, weil sie dann ihre Geschäftreisen unterbrechen mußten.
Nicht nur die Kaufleute, sondern auch friedliebende Menschen, die durch
Kriege in anderen Teilen Indiens ihre Heimat verloren hatten, siedelten sich
in der pulsiernden Handelsstadt an. So kamen auch Gelehrte und Künstler,
die eine Fülle von schönen Wohnhäusern und Tempeln schuffen.
Der Niedergang
Mit dem Ende des Moghulreichs und dem Beginn der britischen
Kolonialherrschaft begann der politische und wirtschaftliche Verfall
Jaisalmers.
Maharawal Mool Raj unterschrieb 1818 einen Vertrag mit den Briten, in der
Hoffnung auf einen neuen Aufschwung. Doch die alten Handerlswege verloren
immermehr an Bedeutung, zumal die Engländer darum bemüht waren,
die wichtigsten Zentren ihrer Kolonien mit Eisenbahnen und Straßen zu
verbinden, wobei sie die Wüstenstraßen außeracht ließen.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts verließen die reichen Kaufleute die
Stadt und siedelten sich zumeist in den neu entstanden Handelsstädten
Bombay und Kalkutta an. Während 1815 die Einwohnerzahl noch auf 35000
geschätzt wurde, lebten 100 Jahre später nur noch ein paar tausend
Menschen in der Festung.
Durch die Teilung Indiens 1947 wurde der Handelsweg nach Pakistan
unterbrochen. Dies und die Wasserknappheit schienen das Schicksal der Stadt
zu besiegeln. Dort, wo einst die reichen Händler und mächtigen
Maharadschas ihr märchenhaftes Leben führten, lagen jetzt nur Sand
und Staub. Die Häuser verfielen, weil sie nicht mehr instandgehalten
wurden. Nur die Tauben saßen vor den Fenstergittern. Die einzigen
Bewohner der düsteren Gewälbe schienen die Fledermäuse zu
sein. Nur selten verirrte sich jemand in diese öde Gegend.
In den indo-pakistanischen Kriegen 1965 und 1971 erkannte man die
strategische Bedeutung Jaisalmers. Die Stadt liegt nämlich nur achtzig
Kilometer von der pakistanischen Grenze entfernt. So wurde Jaisalmer aus
seinem Dornröschenschlaf geweckt. Man baute schleunigist eine Bahnlinie
und eine Autostraße nach Jodhpur und Bikaner. Militärstützpunkt
bilden heute die wirtschaftliche Grundlage der Stadt.
Inzwischen haben auch die Touristen den Zauber dieser mittelatlerlichen,
ziselierten Wunderstadt entdeckt. Die Wasserversorgung ist durch das
Rajasthan-Kanalprojekt gesichert. So werden sicher noch mehr Menschen nach
Jaisalmer kommen.
Erleben
Sie 1001 Nacht !