Jaisalmer lag an der großen
Ost-West-Handelsstraße. In dieser Stadt erfolgte der Austausch der
Handelswaren aus dem Westen mit den berühmten und begehrten
Seidenstoffen, Edelsteinen, Gewürzen und Opium des Orients. Die
Kaufleute von Jaisalmer, die Patwas, machten gewaltige Gewinne. Über
vier Jahrhunderte gedieh der Handel. Vom Wohlstand dieser Zeit zeugen noch
heute die Paläste und großen Privathäuser, die Havelis"
(Das Wort ist persischen Ursprungs und bedeutet ``umschlossener Platz`` für
mehrere Familien bzw. Für eine Großfamilie). Zum Schutz gegen die
Sonnenglut reihen sich vierstöckige Havelis in engen Gassen; ihre
herrlichen, goldgelben Sandsteinfassaden verraten Wohlstand und Kunstsinn.
In kaum mehr zu überbietender Phantasie wurden die Schauwände in
winzige Fenster, Balkönchen, zierliche Erker, Bangladardächer,
Konsolen von Lotoszapfen und Elefantenköpfen, Arabesken und Gitterwerk
filigran-und spitzenartig aufgelöst und zieren ganze Straßenzüge.
Gleichartige Steinschneidearbeiten, Holzschnitzereien, Wandmalereien,
Balustraden und Türmchen schmücken Gemächer, Salons, Veranden
und Dachgärten.
Die Havelis sind eigentlich Fenstergitter (die Bezeichnung ist dann auch
auf die mit solchen Gittern geschmückten Häuser übergegangen),
auf die man hier sehr stolz ist und die mit vielen Anekdoten verknüpft
sind. Ihre unendlich feinen Durchbrechungen ergeben ein wunderbares
Zusammenspiel von Licht und Schatten. Die Havelis waren zugleich äußeres
Zeichen des Reichtums und Element des Komforts; selbst im heißesten
Sommer ist es in den Häusern angenehm, die Luft ist nie stickig. Die
Architekten mußten beim Bau eines Havelis dafür sorgen, daß
in der extremen Sommerhitze möglichst wenig grelles Wüstenlicht in
die kühlen Räume fiel.
Erfahrene Moslem-Steinhauer (Silawats) schufen sie für die Hinduhändler.
Die Sandsteinoberfläche der Gebäude bröselt bei der Berührung
leicht und vermittelt für Moment das seltsame Gefühl, etwas von
der versunkenen Pracht Jaisalmers gefühlt, den Duft von Seiden,
Brokaten und schwerem Weihrauch geatmet zu haben. Die Havelis in dieser
verwinkelten Altstadt versetzen den Besucher in Erstaunen.
Salim Singh Haveli
Die Besichtigung sollte man beim Salim Singh Haveli beginnen, das leicht nördlich
vom Zentralmarkt liegt. Diwan Salim Singh war ein despotischer
Premierminister im späten 17. Jahrhundert, der sich dieses Haveli im
Stil von Tausendundeiner Nacht mit seinem eindrucksvollen, gewölbten
Pfauenmotivdach und den einzigartigen, himmelblauen Kuppeln bauen ließ,
um die Herrensitze anderer Edelleute auszustechen. Dieser Mann war für
seine Grausamkeit berüchtigt. Einst ließ er, nur um über den
regierenden Maharawal Einfluß zu gewinnen, 3000 Menschen aus den
umliegenden Dörfern massakrieren. Nach der örtlichen Überlieferung
versuchte er sein Haveli ebenso hoch zu bauen wie den Herrscherpalast und
plante sogar eine Verbindungsbrücke zu den fürstlichen Gemächern.
Rajputische Höflinge überzeugten den Fürsten jedoch davon,
diesen himmelstürmenden Rivalen zu zerstören; die zwei oberen
Stockwerke wurden in Stücke geschlagen. Die Fassade ist zwar
atemberaubend, das Innere aber ausgeplündert und spartanisch. Zu beiden
Seiten eines angeordneten Erkers befanden sich große Empfangsräume,
so daß der Diwan zugleich männliche Besucher empfangen und sich
der Gesellschaft seines Harems erfreuen konnte.
Nathmal Ki Haveli
Ähnlich
prunkvoll ist die Wohnung eines anderen Premierministers, die von Nathmal Ki
Haveli (um 1885), bei Touristen ein beliebtes Fotomotiv. Die Schnitzerereien
im rechten und linken Flügel dieses Gebäudes wurden von zwei
moslemischen Brüdern ausgeführt, und jeder von ihnen übernahm
einen Flügel des Hauses. Kein Ornament kommt zweimal vor, die
Stileinheit ist dennoch gewahrt.
Zwei mächtige, steinerne Elefanten, Symbole der Herrschermacht, zieren
den hochgelegenen Eingang; die Eingangstür allein ist ein Kunstwerk.
Die Innenwände sind mit Malereien geschmückt. Heute noch wohnen
hier die Angehörigen von Nathmal. Man kann fragen, ob man den ersten
Stock mit seinen schön bemalten Wändern und den Wandgemälden
besichtigen darf.
Patwon-Ki-Haveli
In einer sehr engen Gasse nördlich des Palastes steht das
atemberaubendste all der schönen Havelis von Jaisalmer, das
Patwon-Ki-Haveli. Patwas heißen die Kaufleute, die mit wertvollen
Waren, wie Brokat, Gold-und Silberstickereien, Pailletten und Bändern
handeln. Diese Familie hat ihren Wirkungskreis mittlerweile allerdings auch
auf Opium-und Bankgeschäfte ausgedehnt. Ende des 18. Jahrhunderts hatte
Guman Chand Patwa eine Handelskette mit etwa 300 Zentren aufgebaut, die von
Afghanistan bis China reichte. Im Jahre 1800 fingen seine fünf Söhne
an, das Herrenhaus zu bauen. Daher besteht es aus fünf separaten
Wohnungen, die miteinander verbunden sind. Die Ferstigstellung dauerte 50
Jahre. Später hat die Familie es aus Angst vor Beschlagnahmung in eine
Sanskrit-Schule für Jungen umfunktioniert. Glücklicherweise ist es
von diesem tintenbeklecksten Schicksal erlöst worden und steht heute
unter Denkmalschutz.
Vor diesem Haus befindet sich die ``Ota``, eine halböffentliche
Passage, die an beiden Seiten einer Treppe einige Sitze aufweist. Zur Straße
hin liegen die offizellen Empfangsräume. Zu den Seiten eines Hofes, der
den mittleren Bereich des dreigeteilten Hauses einnimmt, liegen Küche
und Vorratsraum. Der hintere Teil wiederum dient Lagerzwecken; Schlafräume
befinden sich in den oberen Geschoßen.
Beim ersten flüchtigen Anblick der Vorderfront dieses Hauses denkt man
eher an Holzschnitzereien als an Bildhauerei, so fein ist sie gearbeitet.
Kein Wunder, daß man das Verlangen hatte, das Haus um so schöner
zu schmücken.
Mandir Palace
Der Mandir Palace wurde im späten 19. Jahrhundert von Maharawal
Salivahan außerhalb der Stadtmauer erbaut, weil er glaubte, ein Fluch
auf dem alten Stadtpalast bringe seine Familienmitglieder in Scharen um. Das
Bauwerk ähnelt keinem anderen in Jaisalmer, eine indosarazenische
Komposition aus kannelierten Säulen, gewölbten Türmen,
abgestuften Filigranfassaden und im Inneren mit silberner Möblierung.
Tazia-Turm
Muslimische Steinmetze schufen die Prunkfassaden aller Havelis der Stadt.
Das Badal Mahal (Palast der Wolken) mit dem wunderschönen,
pagodenartigen Tazia-Turm gehört zu den Bauweken mit bestem
achitektonischen Ruf. Tazias heißen jene so zerbrechlich wirkenden,
fein herausgearbeiteten Grabmal-Modelle aus Bambus oder Papier, die von
Hassen und Hussein, den Enkeln des Propheten, zu gedenken. Die
Steinschneider (Silavats) von Jaisalmer, die alle Shia-Moslems waren,
beschlossen nach der Gründung Pakistans im Jahre 1947 dorthin
auszuwandern. Bevor sie jedoch ihre Heimatstadt verließen, schenkten
sie diesen Turm in der Form eines Tazia den Maharawal aus Dankbarkeit für
den Schutz, den ihnen Jaisalmer so lange gewährt hatte. Heute fehlt
ihre Kunstfertigkeit bei der Restaurierung.
Gharsi Sagar (Stausee)
Die Bhatti-Fürsten von Jaisalmer ließen die künstlichen
Teiche mit Toren, Balustraden und Pavillons schmücken und genossen hier
die abendliche und nächtliche Kühle bei Musik, Gesang, Poesie,
Rauchen der Opiumpfeife (Hukkah) und Kauen von Betelblätter (Pan).
Jaisalmer wurde als wehrhaftes Fort und blühende Kaufmannstadt überhaupt
erst möglich durch den Bestand von Brunnen im Fort und den Gharsi
Sagar, ein Reservoir vor den Toren der Stadt. Der See wurde von Rawal Gharsi
1367 angelegt. Unter ihm war Jaisalmer ein reicher Staat, der weite Gebiete
kontrollierte. Da Gharsi ohne Nachkommen war, hatte sich die Verwandtschaft
Hoffnung auf den Thron gemacht. Gharsi aber zog es vor, einen Jungen zu
adoptieren. Und da die Geschichte von Jaisalmer den anderen Rajputenstaaten
an Intrigen und Verbrechen nichts nachstand, ließen die Verwandten den
Rawal bei seiner täglichen Besichtigung der Arbeiter am See kurzerhand
ermorden.
Seine Witwe betrachtete es als ihre Pflicht, sich nicht mit ihrem Mann
zusammen verbrennen zu lassen, sondern die Anerkennung des Adoptivsohnes
durchzusetzen und die Vergrößerung des Sees, die ihrem Gemahl so
sehr am Herzen gelegen hatte, zu vollenden. Erst dann, sechs Monate nach
ihrem Mann bestieg sie allein den Scheiterhaufen und folgte dem Rawal als
Sati in den Tod.
Der
See diente früher der Hauptwasserversorgung der Stadt und hatte vitale
Bedeutung. Heute noch füllen viele Frauen frühmorgens hier ihre
Messingkrüge mit Wasser und tragen sie in die Stadt hinauf. Während
des Winters lassen sich hier viele unterschiedliche Wasservögel nieder.
Geier nehmen hier gern ein Bad und breiten danach ihre Flügel zum
Trocknen aus. In der heißen Jahreszeit trocknet der See regelmäßig
aus.
Der Weg ans Wasser führt durch den Tila Pol. Dieses führende gewölbte
Tor soll im 19. Jhdt. von einer schönen, schlauen und reichen
Lieblingskurtisane des Königs errichtet worden sein, im ihren Namen
unsterblich zu machen. Einflußreiche Leute am Hof überzeugten den
König aber, daß es für ihn eine Schande sei, ein vom Geld
einer Prostituierten erbautes Tor durchschreiten zu müßen.
Deshalb wollte er es abreißen lassen. Die listige Frau Tila zog einen
Brahmanen priester zu Rate und zusammen befestigten sie heimlich des Nachts
ein Bildnis des Gottes der Wahrheit, ``Satyanarayan`` über dem
Torbogen. Damit wurde das Tor zum Heiligtum und mußte unversehrt
stehen bleiben, wollte man es sich nicht mit den Göttern verderben. Die
Hoheiten allerdings benutzten seitdem einen anderen Zugang zum See. Im
Umkreis dieses blauen Sees stehen einige Hindu-Schreine.
Unmittelbar vor dem Tor rechts steht über der Straße ein
liebvoll eingerichtetes, kleines Museum mit interessanten, volkskundlichen
Exponaten.
Chhattries (Ehrendenkmäler)
Nordwestlich
der Stadt stehen auf den Dungri-Hügel etliche Chhattries. Die
Chhattries dienen als Memorialbauten. Dieser Ort dient heute noch als
Verbrennungsplatz. Es ist keine Seltenheit, wenn man auf diesem Hügel
geschorene Haare der Verwandten des Verstorbenen oder Blumenkränze
findet.
Hier werden am Abend eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang von den
Touristen die Teleobjektive aufgebaut, und in der Tat ist es einer der schönsten
Aussichtspunkt Rajasthans. (Wer keinen Abend zur Verfügung hat, den
erwartet ein ähnlicher Anblick bei Sonnenaufgang vom Gharsi Sagar).
Wie in einer Szene aus einem orientalischen Märchen erhebt sich das
Fort mit seinem 99 mäandernden Bastionen und Rundtürmen aus der
Ebene. Es scheint mit dem steil aufragenden Sandsteinfelsen verwachsen, Fels
und Baustein sind ein Material. Die untergehende Sonne läßt die
Farben des honiggelben Sandsteins über Goldocker bis zu einem stumpfen
Braun wechseln.