Zu
einer Zeit gegen das Ende der zweiten Weltphase (Tretayuga) lebte auf der
Insel Sri Lanka (Ceylon) ein zehnköpfiger Dämonenfürst namens
Ravana. Durch eiserne Askese hatte er so viel Glut (Tapasya) angesammelt, daß
ihm fast nichts mehr unmöglich war. Sogar die Götter ängstigten
sich vor ihm und baten den Urgott Visnu, sie von dem Dämon zu befreien.
Visnu versprach, sich in der Welt zu inkarnieren, um Abhilfe zu schaffen.
In Ayodhya, der Hauptstadt des Reiches Kosala, regierte damals König
Dasaratha aus der Sonnendynastie. Da er kinderlos war, brachte er ein großes
Pferdeopfer dar, das die Götter bewog, ihm die Geburt von vier Söhnen
zu versprechen. Tatsächlich brachten Dasarathas Frauen vier Jungen zur
Welt. Kausalya gebar den Rama, in dem sich Visnu verkörpert hatte,
Kaikeyi den Bharata und Sumitra die Brüder Laksmana und Satrughna. Auch
sie hatten etwas vom Wesen des Gottes in sich.
Als die vier Dasaratha-Söhne herangewachsen waren, besuchten sie durch
Vermittlung des Sehers Visvamitra den Hof des Königs Janaka von Videha.
Der König batte eine Pflegetochter namens Sita, die er demjenigen
anvermählen wollte, der imstande war, den Kampfbogen zu spannen, der
einst dem Gott Siva gehört hatte. Rama spannte den Bogen nicht nur,
sondern zerbrach ihn. So gewann er die schöne Sita zur Frau.
Unterdessen hatte König Dasaratha von Ayodhya beschlossen, den
Kronprinzen Rama zum Mitregenten weihen zu lassen. Die Vorbereitungen waren
in vollem Gange, als ein unerwartetes Hindernis eintrat.
Angestiftet von einer buckligen Sklavin, verlangte Kaikeyi, die zweite Frau
König Dasarathas, daß ihr Sohn, Ramas jüngerer Halbbruder
Bharata, anstelle des erstgeborenen Rama Mitregent und später König
werden solle. Da sie dem König einst das Leben gerettet und dafür
zwei Wünsche frei hatte, konnte Dasaratha ihr die Bitte nicht
abschlagen. Er verfügte deshalb, daß statt des Rama der Bharata
zum Mitrergenten geweiht würde und Rama sich 14 Jahre in die Verbannung
zurückzuziehen habe.
Gehorsam und loyal unterwarf sich Rama diesem Wunsche. Begleitet von seiner
Gemahlin Sita und seinem Halbbruder Laksmana, verließ er Ayodhya, um
sich am Citrakuta (-Berg) südlich des Yamuna-Flusses niederzulassen.
Mit eigener Hand baute Laksmana dort für Rama, Sita und sich selbst
eine Hütte.
Nicht lange nach Ramas Verbannung aus Ayodhya starb König Dasaratha
aus Gram über seine eigene Ungerechtigkeit, und Bharata war aufgerufen,
den Thron zu besteigen. Er weigerte sich jedoch und zog zum Citrakuta
hinaus, um Rama als den rechtmäßigen Herrscher in die Hauptstadt
heimzuholen. Aber Rama sträubte sich. Erst wenn die von seinem Vater
verfügte Verbannung abgelaufen sei, werde er nach Ayodhya heimkehren
und die Herrschaft übernehmen, so erklärte er. Schließlich
fand man eine Notlösung: Bharata verwaltete den Thron von Ayodhya in
Ramas Namen als Vizeregent. Als Zeichen des wahren Herrschers dienten ein
Paar Sandalen des Rama auf dem Thron, die bei allen Staatsakten und
Zeremonien gezeigt wurden.
Zehn Jahre vergingen. Mehrfach wechselten Rama, Sita und Laksmana ihren
Wohnort, bis sie sich schließlich am Godavari-Fluß niederließen.
Die Gegend war zwar lieblich, aber von riesigen Dämonen (Raksasa)
heimgesucht. Zwischen den Neuansiedlern und den Dämonen kam es rasch
zum Konflikt.
Denn die Dämonin Surpanakha, eine Schwester des Dämonenkönigs
Ravana von Ceylon, hatte sich in den schönen Rama verliebt, war aber
von ihm abgewiesen worden. Als auch Laksmana sie zurückwies, geriet sie
in Zorn und drohte, sich an Sita zu rächen. Das brachte Laksmana so
auf, daß er die Dämonin ergriff und ihr Nase und Ohren abschnitt.
Da ihre jüngeren Brüder gegen Rama und Laksmana nichts ausrichten
konnten, floh die entstellte Frau nach Sri Lanka, um ihren älteren
Bruder,den zehnköpfigen Dämonenfürsten Ravana, gegen Rama und
Laksmana zu mobilisieren. Geschickt pflanzte sie ihm Begehren nach der schönen
Sita ins Herz: Wer sie besitze, beherrsche die Welt. Ravana beschloß,
Sita für sich zu gewinnen, sei es friedlich oder mit Gewalt.
Auf seinem himmlischen Wagen setzte er von Sri Lanka nach Indien über,
wo er den Beistand des als Asket lebenden Dämons Marica fand. In der Nähe
von Ramas Einsiedelei verwandelte sich Marica in eine goldene Gazelle. Sita,
die das herrliche Tier erblickte, bat ihren Gatten, ihr die Gazelle zu
beschaffen. Vom Jagdfieber gepackt verfolgte Rama das fliehende Tier und ließ
dabei die Einsiedelei weit hinter sich. Nach längerer Hatz gelang es
ihm, die Gazelle mit dem Pfeil zu erlegen.
Sita machte sich derweil Sorgen um Rama und bat den zu ihrem Schutz zurückgebliebenen
Laksmana, Rama zu suchen. Gegen besseres Wissen machte Laksmana sich auf den
Weg. Dies war die Situation, die Ravana erhofft hatte. Als Bettelmönch
verkleidet näherte er sich der einsamen Sita und versuchte, sie durch
betörende Reden zu gewinnen. Als Sita ihn abwies, nahm er wütend
seine wahre Dämonengestalt an, riß Sita mit Gewalt an sich und
ent führte sie durch die Luft nach Sri Lanka.
Rama und Laksmana, in die Einsiedelei zurückgekehrt, brauchten einige
Zeit um herauszufinden, was mit Sita geschehen war. Schließlich
erhielten sie den Rat, zu ihrer Befreiung die Hilfe des Affenkönigs
Sugriva und seines Ministers und Generals Hanumat zu erbitten. Durch ein
gegenseitiges Hilfeversprechen schlossen Rama und die Affen einen Pakt.
Es war der Affengeneral Hanuman, der Sohn des Windes, der herausfand, wohin
Ravana die Sita verschleppt hatte. Er bestieg den Berg Mahendra (in Südindien)
und sprang von dessen Gipfel mit einem gewaltigen Satz zur Insel Ceylon hinüber.
Auf dem Berge Trikuta (in sri Lanka) erspähte er Ravanas befestigte
Stadt mit ihrem Palast. Sita fand er als Gefangene in einem Gartenhaus und
sah, wie Ravana sie bedrängte, aber energisch von ihr zurückgewiesen
wurde. Sobald Ravana außer Sicht war, berichtete Hanuman der Sita von
Ramas Sehnsucht nach ihr und den Vorbereitungen für ihre Befreiung.
Beim Ausspionieren der Armee des Ravana geriet Hanuman in die
Gefangenschaft der Dämonen. Er vermochte aber, sich zu befreien und
nach Indien zurückzukehren. Rama war erleichtert, von Hanuman zu hören,
daß Sita noch lebte. Um Ravana anzugreifen, schlug der Affenkönig
Sugriva vor, zwischen Indien und Sri Lanka eine Brücke zu bauen. Emsig
schleppten die Affen Felsen und ganze Berge zur Küste und warfen sie
ins Meer. Binnen kurzem war eine Landbrücke nach Lanka hergestellt. Mit
Rama, Laksmana und Hanumat an der Spitze setzte das Affenheer auf die Insel
über und umzingelte Ravanas Hauptstadt.
Als Ravana seine Stadt belagert sah, gab er Befehl zu einem Ausfall. Wuterfüllt
schlugen Dämaonen und Affen aufeinander, auf beiden Seiten gab es
Verwundete und Tote. Ein erbittertes Bogenduell entbrannte zwischen Rama und
Ravana; jeder überschüttete den anderen mit Pfeilen. Vergeblich
schoß Rama dem Ravana einen Kopf nach dem anderen ab, immer wuchs ein
neuer hervor. Endlich traf ein Geschoß den Ravana ins Herz. Es dröhnte,
als der Dämonenfürst tot auf dem Boden aufschlug. In Panik ergriff
das Dämonenheer die Flucht. Visnu und die Macht des Guten hatten über
das Böse gesiegt.
Ramas Wiedersehen mit der befreiten Sita verlief kühler als erwartet,
denn Rama wollte nicht glauben, daß Sita den Annäherungen des Dämonenfürsten
widerstanden hatte. Auf Sitas Bitte errichtete Laksmana einen
Scheiterhaufen, damit Sita ihre Reinheit durch ein Feuerorakel beweise.
Unversehrt ging sie aus den Flammen hervor und wurde, unter dem Jubel des
Affenheers, von Rama als Gattin wieder aufgenommen.
Zu diesem Zeitpunkt waren auch die 14 Jahre abgelaufen, die Rama nach dem
Befehl seines verstorbenen Vaters in der Verbannung zubringen sollte. Die Götter
forderten ihn deshalb auf, nach Ayodhya zurückzukehren. Hanumat wurde
vorausgeschickt, um dem Bharata die Nachricht von der Heimkehr des
eigentlichen Herrschers zu überbringen. Bharata ließ die Stadt
mit Blumen schmücken und durch Öllämpchen festlich
beleuchten. Vom Volk bejubelt, zog Rama in das strahlende Ayodhya ein und
wurde zum König geweiht.
Die Heimkehr des Rama und der Sita nach Ayodhya wird in Indien jedes Jahr
am vierten (Vollmond.-) Tag des Divali-Festes (Oktober/November) gefeiert.
Tausende brennender Öllämpchen vor den Häusern und
Lichtgirlanden an allen öffentlichen Gebäuden erinnern bei diesem
heiteren Fest an die Freude, mit der die Bürger Ayodhyas einst den göttlichen
Helden und seine tugendhafte Gattin begrüßten.