Aus der
Geschichte
Als nach der Gründung von Jodhpur unter den Nachfolgern von Rao Jodha
Streitigkeiten über das Erbe ausbrachen, entschloß sich einer der
Söhne, Rao Bika, 1465 seinen heimatlichen Hof zu verlassen und sich ein
eigenes Reich weiter im Norden zu schaffen. Nach dem Sieg über
zahlreiche miteinander verfeindete Stämme gründete er 1488 im
Herzen der Wüste Thar die Lehmfestung Bikaner, deren Name aus seinem
eigenen und dem des verbündeten Jat-Oberhauptes Nara zusammengesetzt
ist.
Rao Bika hatte den Platz trotz des Fehlens eines sicheren Bergrückens
bewußt gewählt, da er die Kontrolle einer wichtigen, zwischen
Indien (Hindustan) und Afghanistan verlaufenden Handelsroute ermöglichte,
woraus die Stadt im Laufe der Jahrhunderte beträchtlichen Reichtum schöpfte.
Bei seinem Tode im Jahre 1504 hatte er durch geschickte Kriegsführung
das Reich erheblich ausgeweitet und mehr als 3000 Dörfer unter seine
Herrschaft gebracht.
Seine Nachfolger, klug genug, sich nicht länger dem militärisch übermächtigen
Reich der Moguln in Delhi entgegenzustellen, ließen sich in deren
Dienste nehmen und wurden Generäle und Gouverneure der Moguln, wodurch
sie mit an die erste Stelle innerhalb der Rajputenfürsten rückten.
Einer dieser, Rai Singh (1571-1611), wurde von Akbar in den Rang eines Raja
erhoben, er war damit ranggleich mit den höchsten moslemischen Würdenträgern
im Mogulreich. Mit dem gewaltigen Einkommen, das er von Delhi bezog, konnte
Rai Singh das ärmliche Lehmfort in eine gewaltige Festung umbauen, wozu
die Steine über eine Entfernung von 300 km herangeschafft werden mußten.
Schöne Paläste und Tiefenbrunnen wurden angelegt, die heute noch
bestehen, reich verzierte Holzhäuser entstanden in der sich
entwickelnden Stadt, eine wohlhabende Jaina-Gemeinnschaft etablierte sich.
Er zog Dichter und Künstler aller Art an seinen Hof, sein eigener
Bruder Prithvi-Raj war ein gefeierter Poet.
Aurangzeb, der große Hinduhasser auf dem Mogulthron, fügte der
Entwicklung der Rajputen-und Hindukultur einen gewaltigen Rückschlag
zu. Langsam, aber sicher betrieb er die Politik der Zerschlagung der
Rajputenstaaten. 1668 ließ er alle Hindufeste verbieten, 1669 alle
Hindutempel zerstören, auch diejenigen der Rajputenstaaten. 1679 wurde
wieder die alte moslemische Kopfsteuer für Hindus eingeführt. Die
Rajputen gingen nun zur Guerilla-Taktik gegen den moslemischen Todfeind über.
Der damalige Raja von Bikaner, Anup Singh, war der einzige unter ihnen, der
noch zu Aurangzeb hielt, der ihn dafür zum Maharaja beförderte.
Trotz seiner zahlreichen Feldzüge auf Befehl des Kaisers gelang es ihm,
auch etwas für seine Hauptstadt zu tun.
Als
die Herrscher im 18. Jh. jedoch die Steuerschraube für den Warentransit
übermäßig anzogen, suchten sich viele Handelsherren einen
neuen Standort bei den kleineren Fürstentümern im südlich
gelegenen Shekhawati-Gebiet, das sich fortan zum Knotenpunkt der
Karawanenrouten entwickelte.
Im 18. Jh. als die Mogulherrschaft in voller Auflösung war, waren es
die Herrscher von Bikaner, die ihnen noch am längsten die Treue
hielten. Die Rajputen gewannen wieder die Oberhand, was erneut zu internen
Streitigkeiten und Bürgerkriegen führte. Auch die Stammeshäuptlinge
rebellierten gegen den Staat Bikaner, dessen ,,Erbfeind der Staat Jodhpur
wurde. Erst Maharaja Surat Singh gelang es am Ende des 18. Jh. den Staat
wieder zusammenzuschweißen. Doch erst mit der Pax Britannica kehrte
auch in diesem Teil Indiens Ruhe und Ordnung ein, der Bündnispakt der
Rajputen mit den Engländern 1816 besiegelte deren Status als Rajas und
Maharajas. Die historische Freundschaft der Engländer zu den hiesigen
Rajas, die ihnen ihr berühmtes Kamelkorps (Ganga Rissala) zur Verfügung
stellten, im 1.Weltkrieg in Ägypten eingesetzt, und die strategische
Bedeutung von Bikaner als Schlüsselposition bei allen Kämpfen im
NW des britischen Kaiserreiches Indien, waren der Grund dafür, daß
einer der letzten Maharajas, Sir Ganga Singh, als britischer Delegierter und
Mitglied des Kriegsrates an der Friedenskonferenz von Versailles Delegierter
und Mitglied des Kriegsrates an der Friedenskonferenz von Versailles 1919
teilnahm.
Nach der Unabhängigkeit (1947) geriet Bikaner durch die Teilung
Pakistans von Indien in eine Randlage und verlor seine Funktion. Mit ihren
teilweise noch erhaltenen Mauern, Toren und historischen Bauwerken
vermittelt die Altstadt von Bikaner bis heute das Bild einer
mittelalterlichen Wüstenmetropole, zumal Lastkamele nach wie vor das
Straßenbild beleben.
Das Stadtbild von Bikaner
Auf
den Basaren um das Kote-Tor herrscht brodelndes Treiben. Zwischen
Kamelkarren und Pferdekutschen zwängen sich Jeeps, Autos quetschen sich
in Millimeterabstand an den Fahrradfahrern vorbei. Robust wirkende Frauen in
farbenprächtigen Lehenga-Cholis (weite, knöchellange Röcke
mit bauchfreien Blusen), handbedruckten Odhnis (Schleier) und bis über
beide Ellbogen mit Silber-und Elfenbeinreifen geschmückt, drängen
sich durch das Gewühl. Männer mit Turbanen und Goldohrringen
schreiten mit gewichtiger Miene zielstrebig in die kühlen Läden,
in denen die Kaufleute (Baniyas) mit überkreuzten Beinen auf weißen
Laken sitzen, sich gegen ein Kissen lehnen, Rechnungen prüfen. Die
Auslagen sind prall voll mit Fernsehern, Videogeräten,
Kasettenrekordern, Spielzeug und jedwedem technischen Schnickschnack. Es
gibt Läden für Saris und für Konfektions, Kleidung, Läden
für Zari (Gold- und Silberstickerei), Schneider, Juweliere, Fotografen,
Schreiner, Buchverkäufer, Barbiere, Jungen die Eis (Kulfi) verkaufen
oder Drachen steigen lassen, Studenten, die bei einem Softdrink eine kleine
Pause einlegen, unzählige Menschen, die Gemüse und Früchte
kaufen, mit Tonkrügen beladene Esel, umherstreunende Kühe, Hunde,
Straßenverkäufer, die lauthals ihre Ware anpreisen.
Zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten gehören mehrere prächtige
Havelis in Altstadt, die eine äußerst gewagte Mischung aus
einheimischer Sandsteinarchitektur und britischen Stadtbauten der
Jahrhundertwende aus rotem Ziegelstein darstellen. Die eindrucksvollsten
Beispiele stehen zusammen mit den Büsten des königlichen
britischen Herrscherpaares mitten im Herzen der Altstadt: der Rampuriya
Haveli und nicht weit davon in derselben Straße der berühmtere
Bhanwar Niwas Haveli, der 1972 für den Erben eines riesigen Textil- und
Immobilienvermögens errichtet wurde und heute als vornehmes Hotel
fungiert.