Die Tempelanlage von Ranakpur, knapp 100 km nördlich von Udaipur in
einem bewaldeten Tal der Aravaligebirgskette gelegen, gehört zu den
bedeutendsten Zeugnissen der Jainarchitektur in Indien. Das Heiligtum
entstand in über 60jähriger Bauzeit im 15. Jh.; gestiftet wurde es
von einem reichen Jainkaufmann, der auch Minister Rana Kumbhas war.
Der gewaltige Haupttempel für den ersten Furtbereiter Adinatha bedeckt
eine Fläche von 3716 m2 und besteht aus 29 geometrisch angeordneten
Hallen mit 1444 Säulen. Das Heiligtum wurde nach einem bereits im 14.
Jh. verfaßten Text (Vastu-Sara) vom Architekten und Bildhauer Depa
gebaut. Dem zentralen Schrein mit dem viergesichtigen (Chaumukha)
Marmorkultbild sind in jeder Himmelsrichtung drei Mandapas vorgesetzt, das
Vestibül, die Tanzhalle und die Eingangshalle, die durch Hinzufügen
von Eckschreinen miteinander zu einem geschlossenen System verbunden wurden.
Zudem sind einige Mandapas in mehreren Stockwerken angelegt und wegen der
Hanglage im Inneren terrassiert.
Nicht
durch seine Größe beeindruckt der Tempel, sondern durch die
Vielzahl gekonnt zusammengefügter Details, insbesondere Säulen und
Kuppel, sowie die einzigartige Lichtführung durch den teilweise offenen
Innenhof, die zu einer überirdischen Aura beitragen, der sich auch der
Besucher nicht zu entziehen vermag. Ranakpur verkörpert zusammen mit
den Tempeln von Dilwara den Höhepunkt der Jainarchitektur, die perfekte
Verschmelzung von religiösen Prinzipien mit ästhetischen Ansprüchen
und zurückhaltender Eleganz. Entlang der Innenwände reihen sich 86
Schreine für untergeordnete Gottheiten, die an der Außenfassade
durch schmale, mit Glöckchen und Wimpeln verzierte Türmchen
akzentuiert werden. Die Eckschreine werden von kleinen Shikharas
abgeschlossen, über dem Heiligtum ragt der Hauptturm hoch in den
Himmel, während die Hallen mit flachen Kragkuppeln gedeckt sind. Von
innen sind sie mit komplizierten geometrischen Mustern in Rosettenform
verziert, ergänzt durch Figuren von Göttinnen auf den radialen
Streben. Die aufwendige Ausstattung und die Verwendung des kostbaren
amber-farbenen Asrasana-Marmors wirft auch ein Licht auf die ökonomischen
und sozialen
Verhältnisse der damaligen Jaingemeinden.
Zum einen waren sie trotz Fehlens eines religiösen Führers streng
organisiert, zum anderen standen ihnen die Mittel für das aufwendige
Bauvorhaben zur Verfügung, ein Zeichen dafür, daß unter der
Regentschaft von Rana Kumbha politisch ruhige Zeiten herrschten, in denen
Wirtschaft und Handel blühten. Rings um den Haupttempel gruppieren sich
noch weitere Heiligtümer, darunter der Parsvanatha-Tempel, der einen
konvexen Shikhara hat und auch erotische Darstellungen aufweist.